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Der Fehler in der sowjetischen Lehre

Zur Darstellung der Wertform im ersten Lehrbuch zur Politischen Ökonomie in der Sowjetunion (1954)


Quelle: Anhang in »Die Wertform bis zu ihrer Negation«, Hermann Jacobs


Der wesentlichste Fehler im ersten sowjetischen Lehrbuch von 1954 (der sich dann durch die weiteren Ausgaben schleppt) ist der, den Austausch als einen Tausch der Gebrauchswerte zu „erkennen“. Ich gebe Dir Korn, Du gibst mir Fisch. Was ist Korn? Ein Gebrauchswert. Was ist Fisch? Ein Gebrauchswert. Was ist also Austausch? Ein Gebrauchswertwechsel, ein Produkten-Austausch — von dieser in jene Hand und von jener in diese Hand. Damit ist der Bezug auf das Privateigentum als Ursache der Warenproduktion mit ihrem Anspruch auf eine besondere Eigentumsform, eben den Wert, aufgehoben, die Warenökonomie nicht mehr geschichtlich eingrenzbar und sie kann — theoretisch — in den Kommunismus, in die Gesellschaft ohne Privateigentum fortgetragen werden; denn Kommunismus, ja, jede Produktion gesellschaftlichen Charakters, ist auch der Händewechsel der Gebrauchswerte.

»Die Ware ist ein Gegenstand, der erstens menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt und zweitens nicht für den eigenen Gebrauch, sondern für den Austausch produziert wird.« (S. 82).

Nicht für den eigenen Gebrauch produziert? Dann ist die Wertform nicht verstanden worden, denn die ist für den eigenen Gebrauch »produziert« — und Austausch vermittelt zu diesem. Er verleiht dem Wert die gegenständliche Form — was durchaus nicht die Ware als Gebrauchswert meint, sondern eine Ware ganz neuen Gebrauchswertes, eines Gebrauchswertes für den Wert.

Die Autoren, überzeugt die Analyse der Ware mit dem Gebrauchswert beginnen zu müssen, hätten richtig so schreiben müssen: »… wird nicht für den eigenen Gebrauch, sondern für den gesellschaftlichen Gebrauch (Konsumtion durch einen anderen) produziert«, und dann hätte fortgesetzt werden müssen: »…und wird dem gesellschaftlichen Konsumenten über die Form des Austausches übertragen«. Dieser Austausch läuft auf der Basis des anderen »Austausches« ab, der eine ist nur Träger für den anderen, und dieser der Gebrauchswerte ergibt sich aus jenem des Wertes. D.h. nicht weil die Waren Gebrauchswerte sind, tauschen sie aus, sondern weil sie Werte werden wollen — auf gegenständliche Weise, machen sie ihn im Händewechsel der Gebrauchswerte sichtbar; beide Waren spielen als Gebrauchswerte nicht dieselbe Rolle, die sie für ein besonderes Verhältnis, d.h. im Rahmen der Wertform (= Form für den Wert) spielen. Dieser Unterschied a priori bedacht, wären schon im Eröffnungssatz die beiden Bestimmungen der Ware hübsch getrennt und man könnte die beiden Seiten entwickeln.

Der Satz, »nicht für den (eigenen) Gebrauch« (wobei mit »eigener Gebrauch« die Ware als Gebrauchswert gemeint ist), »sondern für den Austausch«, ergibt ja kein logisches Paar bzw. ergäbe die Logik, dass der Grund des Austausches sich aus der Veräußerung des Nutzens des Gebrauchswertes ergäbe. Womit man unter der Hand von der Eigentumsfrage als der Ursache der Wertform abgelenkt hat und womit die Warenproduktion eine ewige Produktionsweise wird, jedenfalls kann sie so — der Austausch als erklärt aus dem Gebrauchswert, der die Hände wechselt — in den Kommunismus übertragen werden.

Gesellschaftlicher Verkehr der Arbeitsprodukte muss immer sein, vorausgesetzt, wir haben es nicht mehr mit einer isoliert lebenden kleinen Menschengemeinde zu tun. Aber wir, die wir von einer Vision des Kommunismus ausgehen, müssen voraussetzen, dass dieser entwickelte Verkehr der Arbeitsprodukte auch ohne die Form der Ware/des Austausches erfolgt, warum sonst die ganze Aufregung über den Kommunismus als eine Produktionsweise ohne die Waren- und Wertform, ohne den Austausch, den Verkauf.

Der typische Fehler im ersten sowjetischen Lehrbuch der Politischen Ökonomie ist also der, dass gesagt wird, dass der Gebrauchswert (!) verkauft werden muss, als sei es eine Bedingung des Gebrauchswertes, seines äußeren Nutzens, dass es zum Austausch kommt. Während wir doch sagen, die Notwendigkeit der Verkaufsform der Produkte entspringe aus einem Privateigentum, und zwar solchem, das Gebrauchswerte gesellschaftlich produziert, aber einer privaten Aneignung bedarf, also in einem Widerspruch sich befindet: Einerseits privat, andererseits gesellschaftlich. Und deshalb das Muss der Wertform. Weil zwei Interessen in einem Widerstreit liegen, wird klar, dass eine Definition des Wertes nicht mit der des Gebrauchswertes vermengt werden darf. Das führt nur dazu, dass wir das über das Privateigentum hinausgreifende gesellschaftliche Element der Ware zur Ursache der Wertform der Ware erklären, also falsch erklären. Der Nachweis der beiden Seiten/Eigenschaften der Ware muss, nachdem er erst einmal in der Voraussetzung behauptet ist, im Fortgang der Analyse, in der Darstellung im Einzelnen, behauptet bleiben.

Aber das Privateigentum ist als Bedingung des Austausches (Verkaufs-Kaufs) wegdefiniert, indem die Bedingung der Wertform auf den Gebrauchswert übertragen ist, also auf die gesellschaftliche Seite in diesem Widerspruch von privat und gesellschaftlich.

Weiter.

»Damit ein Ding Ware wird, muss es das Produkt von Arbeit sein1 und für den Verkauf produziert worden sein…«. (Ebda. Seite 82)

Die Neutralität erscheint hier im ersten Teil des Satzes: Das Produkt von Arbeit muss usw. Nein, nur das Produkt von privater Arbeit muss die Form des Verkaufs annehmen. Und das Produkt wird nicht »für den Verkauf produziert«, sondern »der Verkauf« produziert auch etwas, was ist das? Das ist die Wertform, das ist die Form für den Wert des Arbeitsprodukts, die seiner Reduktion auf abstrakte Arbeit: Warum aber muss, bevor das Produkt endgültig beim Konsumenten verschwindet, der Wert des Produkts ausgewiesen werden? Weil er als besondere Eigentumsform beim Produzenten verbleiben muss. Der Käufer darf dem Verkäufer nicht alles nehmen, er muss ihm etwas belassen. Das ist die Arbeit des Verkäufers! Aber in einer von der Form, die er dem Verkäufer nimmt, abstrahierenden Form. Also nicht konkreten, sondern abstrakten Form; also nicht Gebrauchswertform, sondern Wertform. Er muss sich zwingen, ein Äquivalent des Produzenten in abstracto zu sein. Er muss sagen: Ja Bursche, Du willst, dass ich Dir Dein Eigentum an Deiner Arbeit in einer abstrakten (vom Gebrauchswert abstrahierenden) Form bestätige, und hier hast Du sie, ich habe meiner Arbeit eine Verwirklichungsform Deiner Arbeit aufgezwungen, meiner konkreten eine Deiner abstrakten Arbeit. So bekommst Du zwar auch einen Gebrauchswert von mir, aber einen solchen, der die Möglichkeit gibt, dass Du Dich weiter in einer abstrakten Weise besitzt. Der Bezug ist Deine Arbeit, aber Deine Arbeit nur so weit, als Du auf sie nicht in dem von Dir produzierten Gebrauchswert rekurrierst, denn den hast du ja mir gegeben.

Austausch ist Verpassung einer Wertform für die Ware — und das gilt von der geschichtlich ersten bis zur geschichtlich letzten der Wertformen; und Wertform ist Verdoppelung der Ware!

Muss dem Gebrauchswert die Wertform verpasst werden? Kann der Gebrauchswert überhaupt verdoppelt werden? Natürlich nicht. Nur der Wert kann, und muss, doch verdoppelt werden.2 Erst ein fremder, anderer Gebrauchswert kann Erscheinung des Wertes sein. D.h. erst einem anderen Gebrauchswert (anderer Ware) kann die Bewegung des Wertes der Ware vermittelt werden. Die eigene Ware kann nur die andere Seite der Arbeit, nämlich deren konkrete Seite, also den Arbeitsertrag der Arbeit wiedergeben.3

In der sowjetischen Lehrbuch-Definition ist die Erscheinung (Verkauf, Austausch) von ihrer eigentlichen Ursache (Privateigentum) getrennt: Der Austausch, der zur Wertform vermittelt (zunächst in ihrer einfachsten geschichtlichen Darstellung), ist nicht auf den Eigentümer, auf das besondere Interesse eines besonderen Privatarbeiters/-eigentümers zurückgeführt. Sondern zurückgeführt auf jene Seite des Privateigentums, worin gesellschaftlich in einem anderen Sinne produziert wird, worin Gebrauchswerte für andere produziert werden — was aber mit der Notwendigkeit der Wertform nichts zu tun hat.

So wird im ersten Satz, in der ersten Definition der Warenproduktion im Lehrbuch bereits die Ewigkeit der Warenproduktion postuliert. Welche Mühe ist doch von Marx aufgewandt worden, die beiden Eigenschaften der Ware, von Wert zu sein und von Gebrauchswert zu sein, auseinanderzuhalten, wir können nicht bei Anlass, den Austausch zu erklären, also eine Entwicklung der Werteigenschaft der Ware zu erklären, in den alten Fehler verfallen und zum Durcheinander von Gebrauchswert und Wert zurückkehren.

Zweitens: Haben wir aufgehört, vom Austausch als einer Form zu sprechen, deren Grund im Gebrauchswert, also der Ware in ihrer konkreten Form liegt, so müssen wir beginnen, im Austausch den Wechsel (das Hinüberwechseln) der einen in die andere Wertform zu erkennen; die Wertformen müssen austauschen! Sonst keine Wertdarstellung, kein unmittelbarer Besitz des Wertes. Man kann also nicht sagen:

»In der Warenproduktion ist der Gebrauchswert der Träger des Tauschwertes der Ware.«

Dass die Ware zugleich ihr Tauschwert sein könnte, höbe den Austausch auf. Nein, der Gebrauchswert, also die Ware, kann nur Träger des Wertes sein, also der unveröffentlichten Form, noch nicht der veröffentlichten. Tauschwert ist immer die andere Ware, zu der ausgetauscht wird. Ergo kann der unmittelbare Gebrauchswert nicht der Träger des Tauschwertes sein, die unmittelbare Ware kann ja nicht ihr Gegenteil sein: die andere Ware. Ergo kann der unmittelbare Gebrauchswert, die unmittelbare Ware nur der Träger des Wertes sein. Träger des Wertes kann die Ware sein (ist die Ware), ohne schon ausgetauscht zu haben.

Das also sind zwei typische Fehler im ersten sowjetischen Lehrbuch.


  1. Auch hier ist »Arbeit« nicht richtig gesetzt; Arbeit so allgemein kann ja nur Arbeit an sich heißen. Der Arbeitsbezug ist zwar an sich richtig, muss aber von vornherein eine Präzisierung erfahren: Private Arbeit in besonderer Form gesellschaftlichen Verhältnisses. »Damit ein Produkt Ware wird, muss es das Produkt von privater Arbeit mit gesellschaftlichem Bezug dem konkreten Charakter nach sein«, so wäre es richtig. Das sind zwei Bestimmungen (»private Arbeit« und »gesellschaftlicher Bezug«), die zwei Ausdrucksformen erforderlich machen. 

  2. Denn im Sinne der Wertform gilt die Ware als nicht unmittelbare Form für den Wert, und erst die eingetauschte Ware gilt als die unmittelbare Form für den Wert. Die beiden Waren innerhalb der Wertform sind also zwei Warenformen für den Wert! Dass die erste Ware (der nichtunmittelbaren Wertform) auch ein Gebrauchswert ist, also mit der Wertform im unmittelbaren Sinne nichts zu tun hat, erfahren wir nur so nebenher, ist eine Bestimmung, die außerhalb der Bestimmung der Wertform selbst fällt. 

  3. Nehmen wir an, ein Wert sinkt; so muss dies angezeigt werden als ein Sinken im relativen Verhältnis zu der Ware, deren Gebrauchswert als die Erscheinung des Wertes von Waren gilt. Also der Wert der Ware, der auf die Hälfte gefallen, fällt auf die Halfte der Menge der Ware, die als die Ware des Wertes gilt. Wollte die selbe Wertbewegung an der eigenen Warenmenge ausgewiesen werden, so ginge das ja nicht, weil diese Menge sich verdoppelt hat, denn bei verdoppelter Produktivkraft fällt zwar der Wert um die Halfte pro Wareneinheit, aber verdoppelt die Warenmenge. (Eine solche Umsetzung des Wertes der Ware in den eigenen Warenkörper konnte nur für die permanente Entwertung des Warenkörpers genommen werden, oder bei Ware = Geld fur die ständige Entwertung des Geldes.) Die Ware kann also nicht den eigenen Warenkörper benutzen, um ihre Wertwechsel anzuzeigen, sondern muss einen anderen Warenkörper benutzen, zu dem sie relativ austauscht im Verhältnis ihrer Wertwechsel.